André Prévôt zum Corona-Virus: Lüften, lüften, lüften!

André Prévôt vom Labor für Atmosphärenchemie am PSI

Lüften kann eine sehr einfache Massnahme sein; es ist schade, wenn man die nicht nutzt.

André Prévôt vom Labor für Atmosphärenchemie am PSI

André Prévôt

André Prévôt

André Prévôt vom Labor für Atmosphärenchemie am PSI warnt: Ein Sicherheitsabstand alleine genügt möglicherweise nicht, um sich vor dem neuartigen Coronavirus zu schützen. Foto Markus Fischer. Bild ZVG Paul Scherrer Institut

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 übertragt sich möglicherweise über Aerosole, sprich über die Luft. Darauf verweisen mehr als 200 Forschende im Fachblatt Clinical Infectious Diseases. Bestätigt sich der Verdacht, seien ganz andere Massnahmen gefragt als bei einer ausschliesslichen Übertragung durch Tröpfcheninfektion. André Prévôt vom Labor für Atmosphärenchemie am Paul Scherrer Institut PSI ist einer der Wissenschaftler, die die Publikation unterzeichnet haben. Im Interview erklärt er, welche Vorsichtsmassnahmen er empfiehlt.

Herr Prévôt, wieso liegt der Verdacht nahe, dass Aerosole bei der Ausbreitung von Covid-19 eine Rolle spielen?

André Prévôt: Es kam in den letzten Monaten öfter zu Ansteckungen, obwohl der Sicherheitsabstand von 1,5 oder 2 Meter eingehalten wurde. Diese Menschen wurden also nicht angehustet oder so. Sie waren einfach länger im gleichen Raum wie bereits Infizierte. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass diese Ansteckungen über Aerosole vonstattengingen und nicht über Tröpfcheninfektion. Dass der Erreger also über die Atemluft in die Lunge geraten ist.

Was genau sind Aerosole und warum können sie Krankheiten übertragen?

Ein Aerosol ist ein flüssiges oder festes Teilchen, das in der Luft schwebt. Das kann auch ein Virus sein. Konkret passiert Folgendes: Beim Husten emittiert man unter Umständen Millionen von Viren, beim Sprechen Tausende von Viren in unterschiedlich grossen Tröpfchen. Diese Flüssigkeitstropfen bestehen vor allem aus Wasser und sind typischerweise etwa ein bis über hundert Mikrometer gross, also gerade mal ein Hundertstel bis Zehntel eines Millimeters. Das Wasser verdunstet relativ schnell, das kann in Sekunden bis Minuten passieren, und das Tröpfchen schrumpft. Übrig bleibt irgendwann ein Mix aus dem Virus und irgendwelchen anderen halbflüssigen organischen Bestandteilen, die sich nicht so schnell verflüchtigen, zum Beispiel Speichelmasse.

Diese Teilchen verbleiben in der Luft und verteilen sich im Raum. Das ist dann wie Feinstaub – ein Begriff, den wir im Deutschen vielleicht besser kennen.

Wie lange bleiben Aerosole für gewöhnlich in der Luft?

Das kommt auf die Grösse an. Wenn das Teilchen gross ist, sinkt es durch die Schwerkraft relativ schnell ab; wenn es klein ist – typischerweise fünf Mikrometer und kleiner –, bewegt es sich mit der Luft. In Innenräumen dauert es sehr lange, bis solche Partikel auf dem Boden landen, das kann Stunden bis Tage dauern.

Was ist der Unterschied zur Tröpfcheninfektion?

Bei der Tröpfcheninfektion redet man von grossen Tropfen, die nicht lungengängig sind: 10, 50 oder 100 Mikrometer gross. Spucketröpfchen, die etwa beim Husten und bei feuchter Aussprache entstehen, sind am oberen Ende dieser Tropfengrössen. Wenn Tropfen so gross sind, landen sie relativ schnell auf dem Boden, dann reichen 1,5 oder 2 Meter Abstand aus. Ansteckung geschieht nur über die direkte Abgabe und Aufnahme solcher Tropfen.

Lungengängige Teilchen – Aerosole – fangen hingegen bei fünf Mikrometer und kleiner an und bleiben teilweise lange in der Luft. Schon bei fünf Mikrometer reicht der Sicherheitsabstand nicht, sie werden weiter transportiert und verteilen sich im Raum, und andere Menschen können sie einatmen und sich darüber infizieren.

Wie wahrscheinlich ist es denn, sich an solchen schwebenden virushaltigen Partikeln anzustecken?

Das kommt darauf an, wie viele Viren man aufnehmen muss und auch über welchen Weg. Das weiss man bei Covid-19 noch nicht so genau. Die Schwelle ist bei jedem Virus ein bisschen anders – und wahrscheinlich auch bei jeder Person.

Das heisst, ich stecke mich nicht automatisch an, wenn ich längere Zeit mit einem Infizierten in einem Raum bin?

Nein, es kommt auf die Konzentration an. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich, wenn mehr Aerosole da sind, eine Person also mehr emittiert. Ob es dann zu einem Superspreading-Ereignis kommt, hängt auch davon ab, wie gut der Raum belüftet ist und wie ausgesetzt die Leute sind. Es ist sicher nicht so, dass sich immer alle anstecken.

Was war die Intention hinter der Veröffentlichung?

Den beiden Hauptautoren, Lidia Morawska und Donald Milton von der Queensland University of Technology in Australien beziehungsweise der University Maryland School of Public Health in den USA, war schon früh klar, dass die Ansteckung über Aerosole bei Covid-19 eine Rolle spielen könnte. Grund genug, um zu sagen: Man sollte diesen Weg auch beachten. Denn wenn eine Ansteckung über Aerosole möglich ist, braucht es ganz andere Massnahmen als bei einer reinen Tröpfcheninfektion. Offenbar finden bei der Weltgesundheitsorganisation intensive Diskussionen über die Formulierung weitergehender Empfehlungen statt, wie sich Ansteckungen via Aerosole minimieren lassen.

Welche Massnahmen sind das?

Zum einen: Viele Leute in einem Raum vermeiden, so minimiert man das Risiko. Oder man lüftet halt sehr gut oder filtert die Luft in Innenräumen sogar, um die potenzielle Konzentration tief zu halten.

Also lüften, wann immer es geht?

Ja, genau. Ich habe den Eindruck: Viele Leute sind sich bewusst, dass sie Abstand halten und sich die Hände waschen müssen. Aber dass die Lüftung wichtig ist, haben viele nicht im Blick, weil das nicht klar kommuniziert wurde. In der Schweiz ist jetzt ein guter Zeitpunkt, darüber nachzudenken, weil immer mehr Menschen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und wieder mehr Leute in einem Büro zusammen sind.

Lüften kann eine sehr einfache Massnahme sein; es ist schade, wenn man die nicht nutzt, wo es doch so simpel ist. Vor allem, solange es draussen nicht minus 20 Grad sind.

Dann ist aber das Übernachten mit anderen Menschen in einem Zimmer in einer Alphütte – wie es viele Wanderer in der Schweiz tun – vermutlich keine gute Idee, oder?

Es kommt immer darauf an, wie viele Leute wie lange zusammen in dem Raum sind. Aber ja, auf 2000 oder 3000 Meter ist es eher kalt, die Gefahr ist hoch, dass man da nicht die ganze Nacht das Fenster aufmachen möchte. So eine Berghütte wäre dann schon ein Ort mit einem erhöhten Risiko.

Wenn ich das Fenster zum Lüften nicht öffnen kann, helfen dann Ventilatoren?

Ein purer Ventilator ist sicher kein Vorteil. Wenn man mit einem Ventilator die Luft im Raum gut durchmischt, erhöht das eher leicht die Chance, dass es zu Ansteckungen kommt. Das würde ich nicht empfehlen. Aber man kann im Büro auch die Türe zum Gang beispielsweise öffnen, sodass das Luftvolumen höher wird.

Gerade wenn es in den nächsten Monaten wieder kälter wird, sind das alles aber schlechte Nachrichten, oder?

Ja, das ist wohl mit ein Grund, warum im Winter die Ansteckungsraten bei Virusinfektionen allgemein höher sind.

Sollten wir dann generell mehr über gutes Lüften nachdenken, auch nach Corona?

Ja, die Hauptautoren denken auch an die Überprüfung von Lüftungssystemen, wie gut die überhaupt sind. Das hat auch einen Effekt auf andere Viruserkrankungen – normale Grippe- und Erkältungsviren würden so minimiert. Es lohnt sich sicherlich, das zu untersuchen. Bringt es beispielsweise etwas, die Lüftung stärker laufen zu lassen? Oder wie könnte man das Lüftungssystem allgemein optimieren, damit das Ansteckungsrisiko geringer wird?

Wenn sich Covid-19 über Aerosole überträgt, helfen Stoffmasken dann überhaupt?

Ja, und zwar dort, wo die Viruströpfchen entstehen, also bei demjenigen, der Tröpfchen ausstösst. Fünf Mikrometer sind ja doch noch einigermassen gross, da bleibt viel im Filter, also in der Maske hängen. Nicht alles, aber ein beträchtlicher Teil. Als Schutz beim Einatmen helfen Masken weniger, weil die Teilchen dann schon viel kleiner sind. Es ist nicht nichts. Aber es ist dann kein vollständiger Schutz mehr. Dafür braucht man eine spezielle Art von Maske, die auch lungengängige Teilchen abfängt, also Partikel mit einer Grösse von weniger als zehn Mikrometer.

Forschen Sie am PSI auch selbst zur Übertragung von Viren über Aerosole?

Ich wurde als Aerosolforscher angefragt, den Brief in Clinical Infectious Diseases mit zu unterzeichnen, weil die Hauptautoren renommierte Wissenschaftler haben wollten, die den Brief daraufhin anschauen, ob alles plausibel ist. Ich bin aber selbst kein Virologe und interessiere mich mehr für die generelle chemische Zusammensetzung von Aerosolen und deren Auswirkungen auf Lungenerkrankungen und Klima.

Könnte sich denn in Zukunft eine Forschungskooperation dazu ergeben?

Ich könnte mir Folgendes vorstellen: Es gab Berichte darüber, dass Hunde die Krankheit, also Covid-19, riechen können. Wenn das stimmt, dann kann man es wahrscheinlich auch messen. Beispielsweise wenn flüchtige Verbindungen emittiert werden, die spezifisch sind für die Krankheit. Es wäre spannend, wenn man das messen könnte in der Atemluft. Die Frage ist also, ob es Marker in der Atemluft gibt, die für die Krankheit indikativ sind. Wir wollen vielleicht etwas in diese Richtung machen.

Quelle: Paul Scherrer Institut - Interview Brigitte Osterath

25.8.2020

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