Körpereigenes Immunprotein hemmt SARS-CoV-2 an der Fusion mit Wirtszellen

Prof. Volker Thiel vom IVI

Nun ist es uns gelungen, sozusagen die Nadel im Heuhaufen zu finden.

Prof. Volker Thiel vom IVI

Prof. Dr. Volker Thiel

Prof. Dr. Volker Thiel

Prof. Dr. Volker Thiel, Institut für Virologie und Immunologie (IVI), Universität Bern und Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. Bild ZVG Uni Bern

Ein internationales Team mit Beteiligung des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) der Universität Bern und des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV konnte zeigen, dass ein körpereigenes Protein unseres Immunsystems das neue Coronavirus an der Fusion mit Wirtszellen hindert. Das weckt Hoffnungen auf neue Therapieansätze.

Ein Protein, das vom menschlichen Immunsystem produziert wird, kann Coronaviren stark hemmen, darunter auch SARS-CoV-2, den Erreger von COVID-19. Ein internationales Team aus der Schweiz, Deutschland, und den USA konnte zeigen, dass das sogenannte LY6E-Protein Coronaviren daran hindert, eine Infektion auszulösen. «Daraus lassen sich Hinweise auf mögliche Behandlungsstrategien ableiten», so Prof. Dr. Stephanie Pfänder von der Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB), Ko-Erstautorin der Studie, die an der Universität Bern am Institut für Virologie und Immunologie (IVI) ihren Anfang nahm. «Wir wollten herausfinden, welche Faktoren Coronaviren daran hindern, vom Tier auf den Menschen überzuspringen», sagt Prof. Volker Thiel vom IVI, Letztautor der Studie. «Nun ist es uns gelungen, sozusagen die Nadel im Heuhaufen zu finden». Die Studie wurde im Journal «Nature Microbiology» veröffentlicht.

Verstärkend für Grippeerreger, hemmend für Coronaviren

Das LY6E-Protein spielt bei verschiedenen Erkrankungen eine Rolle: Schon vor einiger Zeit entdeckten die US-Forscher Prof. Dr. John Schoggins und Prof. Dr. Charles Rice, dass das Protein die Infektiosität von Grippe auslösenden Influenzaviren verstärkt. 2017 besuchte Stephanie Pfänder, damals noch am Institut für Virologie und Immunologie in Bern, mit einer Förderung durch ein Marie Curie Individual Fellowship der Europäischen Union das Labor von Charles Rice an der Rockefeller University in New York, um dort ihre Suche nach Genen fortzusetzen, die Coronaviren hemmen.

Um Proteine im menschlichen Körper zu identifizieren, die die Ausbreitung von Coronaviren einschränken, durchsuchte Pfänder in einem genetischen Screening mehrere hundert sogenannte Interferon-stimulierte Gene (ISGs). ISGs produzieren unter anderem antivirale Proteine und schützen gegen Krankheitserreger. Dabei zeigte das Protein LY6E die stärkste hemmende Wirkung auf alle getesteten Coronaviren, darunter auch die Erreger von SARS und MERS sowie SARS-CoV-2, den Auslöser von COVID-19. «Das hat nun zu der Entdeckung geführt, das LY6E auf Coronaviren im Vergleich zu Grippeviren den gegenteiligen Effekt hat: Es verhindert die Infektion», sagt Pfänder.

Viren können nicht fusionieren

Prof. Dr. Stephanie Pfänder

Prof. Dr. Stephanie Pfänder

Prof. Dr. Stephanie Pfänder, Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie, Medizinische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum. © RUB/Marquard. Bild ZVG Uni Bern

Tests mit verschiedenen Zellkulturen zeigten, dass LY6E die Fähigkeit des Virus beeinträchtigt, mit den Wirtszellen zu fusionieren. «Wenn das Virus nicht mit diesen Zellen fusionieren kann, kann es keine Infektion auslösen», erklärt Thiel. Der Nachweis im Tiermodell gelang dank einer Kooperation mit dem Labor von Prof. Dr. John Schoggins am Southwestern Medical Center der University of Texas. Die dortigen Experimente, die von Ko-Erstautorin Dr. Katrina Mar durchgeführt wurden, führten zu der Erkenntnis, dass die Mausvariante des Proteins namens LY6E für den Schutz von Immunzellen vor Infektionen entscheidend ist. In Abwesenheit von LY6E werden Immunzellen wie zum Beispiel dendritische Zellen und B-Zellen anfälliger für Infektionen, und ihre Anzahl nimmt drastisch ab. Mäuse, denen LY6E in Immunzellen fehlt, sind sehr anfällig für ein normalerweise nicht tödliches Maus-Coronavirus und sterben daran.

Grundlegende Konzepte verstehen

Zwar betonen die Forschenden, dass sich das im Experiment verwendete Maus-Coronavirus deutlich von dem Erreger des aktuellen COVID-19-Ausbruchs unterscheidet – so löst es zum Beispiel keine Atemwegserkrankung, sondern Hepatitis aus. Dennoch ist es weithin als Modell für das Verständnis der grundlegenden Konzepte der Coronavirus-Replikation und der Immunreaktionen in einem lebenden Tier anerkannt.

«Unsere Studie bringt neue Erkenntnisse darüber, wie wichtig diese antiviralen Gene für die Kontrolle der Virusinfektion und für eine angemessene Immunantwort gegen das Virus sind», so Thiel. Da LY6E ein natürlich vorkommendes Protein des Menschen ist, hoffen die Forschenden, dass dieses Wissen bei der Entwicklung von Therapien helfen kann, die eines Tages zur Behandlung von Coronavirusinfektionen eingesetzt werden könnten. Ein therapeutischer Ansatz, der den Wirkmechanismus von LY6E nachahmt, könne eine erste Verteidigungslinie gegen neuartige Coronavirus-Infektionen darstellen.

Die Studie wurde finanziell unterstützt durch das Marie Sklodowska-Curie-Programm der Europäischen Kommission sowie durch den Schweizerischen Nationalfonds, die National Institutes of Health (USA) sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung der Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: Uni Bern

30.7.2020

Publikationsdetails

Stephanie Pfaender et al.: LY6E impairs coronavirus fusion and confers immune control of viral disease, in: Nature Microbiology July 2020, https://doi.org/10.1038/s41564-020-0769-y

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